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Mentorin Sabine Heckmann begleitet Lara Eckert und Kevin Franzeck seit 2010.

Kevin studiert, Lara wird bald Abitur machen.

Was bleibt nach vielen gemeinsamen Jahren?

Sabine Heckmann gehört zu den Mentorinnen der ersten Stunde im Deutschen Schülerstipendium: Seit 2009 ist die quirlige Gießenerin für die Roland Berger Stiftung ehrenamtlich aktiv. 2010 wurden die Mentees Lara Eckert und Kevin Franzeck ins Deutsche Schülerstipendium aufgenommen.

Als Bankkauffrau ist Sabine Heckmann für die Deutsche Bank in Frankfurt tätig. Lara wird im Sommer 2020 Abitur machen, Kevin studiert im dritten Semester Pharmazie.

Ende Januar 2020 treffen die drei sich bei Sabine Heckmann zu Fototermin und Interview. Alle Personen auf einen Tag zu verpflichten, war nicht einfach. Kevin kommt mit dem Zug aus Marburg angereist. Lara musste sich den Termin freischaufeln. Sie hat viel zu lernen für die Abiturprüfungen. Sabine Heckmann gibt einen fröhlichen Ton vor: Es wird oft gelacht an diesem regnerischen Sonntag. „Humor ist eine Kraftquelle“, sagt Heckmann.

 

"Ich wollte da sein und stärken"

 

Frau Heckmann, Sie sind seit 2009 Mentorin und haben Lara und Kevin über viele Jahre begleitet. Was hat Sie motiviert?

SH: Die enorme Bandbreite an Erfahrungen, die man mit zwei so unterschiedlichen Menschen macht. Lara schätzt es, ins Theater oder in Konzerte zu gehen. Kevin konnte man immer mit einer Radtour eine Freude machen – oder wenn wir einen Kletterwald besuchten. Für mich war diese Kombination klasse, weil ich Kultur und Outdoor-Aktivitäten mag.

Welche Theaterstücke waren das, Lara?

LE: Klasse war das Stück „Willkommen“, das wir am Stadttheater Gießen angeschaut haben. Da geht es um eine gut betuchte Wohngemeinschaft, in der ein Bewohner für ein Jahr nach New York geht und sein Zimmer einem Flüchtling überlassen möchte. Sehr amüsant, wie schnell die Masken fallen und wie viele Vorurteile plötzlich im Raum stehen.

Theater war nicht so ganz Ihr Wetter, Kevin?

KF: Weniger. Mein Highlight war in der siebten Klasse ein Bundesliga-Spiel, Eintracht Frankfurt gegen Borussia Dortmund. Und der Kochkurs, den wir mit den anderen Mentoren und Mentees einmal im Sterne-Restaurant „Lafleur“ gemacht haben. Erst vor Kurzem habe ich wieder die Tomatensuppe, die wir dort gelernt haben, für meine Freundin gekocht.

Bei der „Konferenz der Tiere“, die 2012 von der Stiftung aufgeführt wurde, waren Sie aber beide dabei?

SH: Da haben beide mitgemacht. Besonders stolz war ich auf Kevin, der sich gerade den Arm gebrochen hatte. Ich hatte erwartet, dass er das zum Anlass nimmt, sich vor der Aufführung zu drücken. Aber nichts da! Er ist mit seinem Gips über die Bühne gesprungen und hat es sichtlich genossen. Ich saß im Publikum und war baff.

Kevin studiert im 3. Semester Pharmazie an der Uni Marburg. Lara wird diesen Sommer Abitur machen. Lara, wissen Sie schon, was Sie dann tun werden?

LE: Erst mal ein Gap-Year einlegen. Ein bisschen arbeiten fürs Reisebudget und dann Interrail. Danach würde ich gerne an einem Volunteering-Programm teilnehmen. Dann studieren. Ich schwanke noch zwischen Psychologie und Grafikdesign.

Frau Heckmann, sind Sie als Mentorin auch mal an Ihre Grenzen gestoßen?

SH: Beim Spiel Eintracht gegen Borussia. (Alle lachen) Ich gebe zu: Ein Fußballstadion ist nicht meine Welt. Der Besuch war ein Bonus, den ich nach einem Förderplangespräch ausgelobt hatte. Kevin hat mir in diesem Gespräch sehr leidgetan. Er hatte eine schwierige Zeit in der Schule, da saßen dann drei Lehrer und drei weitere Erwachsene gegen ein Kind. So habe ich es zumindest wahrgenommen.

Kevin hat in einer Wohngruppe gelebt, weil er nicht bei seiner leiblichen Mutter bleiben konnte.

SH: Zwölf oder 13 war er bei diesem Gespräch. Er hatte schlechte Noten in Englisch und Latein. Ich dachte: Dem Jungen braucht man jetzt nicht mit „Zukunftsperspektiven“ zu kommen, die relevant sind, wenn er 20 ist. Mit der Projektleiterin der Stiftung war ich mir einig, dass wir ihn aus seinem Motivationstief herauslocken mussten. Ich komme aus der Wirtschaft, da wird mit Leistungsanreizen gearbeitet. Also haben wir ihm bei einer nachhaltigen Verbesserung seiner Leistung dieses Eintracht-Spiel versprochen.

Und es hat funktioniert?

SH: Auf jeden Fall war die Eintrittskarte eine größere Motivation als die Frage „Muss ich in meinem späteren Berufsleben fließend Englisch sprechen und das Latinum haben“?

Seitdem sind einige Jahre vergangen. Mit welchen Gefühlen blicken Sie zurück?

SH: Es ist toll, so lange begleiten zu dürfen. Als ich Lara kennenlernte, war sie in der Grundschule und sehr zurückhaltend. Auf mein Angebot, sie könne mich bei Problemen anrufen, reagierte sie erstaunt. „Probleme bei den Hausaufgaben?“, fragte sie zaghaft. Sie konnte sich nicht vorstellen, sich mit ihren Sorgen an eine Person außerhalb der Familie zu wenden. Das hat sie erst im Lauf der Zeit angenommen. So wie meinen Rat, sich in der Schule auch mal zu melden, wenn sie die Antwort nicht zu 150 Prozent sicher weiß. Inzwischen ist sie Stipendiaten-Sprecherin.

Die Veränderungen zwischen Grundschule und Abitur sind groß, wie auch alle Eltern und Großeltern wissen.

SH: Allerdings. Kevin hat zum Beispiel relativ spät sein Interesse für Geschichte entdeckt. Vorher war ihm das Fach lästig, nach dem Motto: Weshalb soll ich mir einen Kopf über Sachen machen, die passiert und nicht mehr zu ändern sind?

KF: Da war der von der Stiftung organisierte Besuch im „Haus der Geschichte“ in Bonn ein echtes Aha-Erlebnis. Auch die Demokratie-Seminare und ein Besuch der Gedenkstätte Buchenwald. Mir wurde klar, was für eine Tragweite manche geschichtlichen Ereignisse haben. Dass sie bis in unsere Gegenwart hineinwirken.

LE: Bei mir war es genau anders herum, was die Fächer-Vorlieben angeht. Ich mochte Sprachen, Schreiben, Geschichte und so weiter.

Frau Heckmann, aus welchen Motiven heraus sollte man NICHT Mentorin werden?

SH: Ein Mentor muss offen sein und bereit, sich auf sein Gegenüber einzulassen. Man sollte nicht erwarten, sich selbst zu verwirklichen, indem man dem Mentee etwas überstülpt. Für Durststrecken gilt: Man kann das Pferd zum Wasser führen, aber man kann es nicht zwingen zu trinken. Ich habe versucht, das aufzugreifen, was von den beiden kam und passende Impulse zu setzen. Sagen wir es so: Ich habe Vorschläge gemacht. Manches wurde angenommen, manches nicht. Auf jeden Fall bin ich sehr zufrieden, wenn ich mir die beiden heute ansehe.

Wie hoch war der zeitliche Aufwand, den Sie ins Mentorat gesteckt haben?

SH: Anfangs hatte ich den Ehrgeiz, mich mit beiden mindestens jeweils einmal im Monat zu treffen. Das war sehr ambitioniert, weil sie 35 Kilometer von mir entfernt wohnten ‑ und zwar in entgegengesetzter Richtung. Der Zahn wurde mir schnell gezogen. Das hätte auch der Terminplan der beiden nicht zugelassen.Manchmal habe ich Mentoren beneidet, die quasi auf dem Schulweg ihrer Mentees wohnten. Mal eben schnell auf eine Tasse Kaffee treffen, das ging bei uns nicht. Wir haben uns nach Bedarf getroffen, geschrieben und telefoniert, es gab keine feste Regel.

LE: Und Du hast gelernt, wie man Sprachnachrichten auf Whatsapp abruft. (Alle lachen)

SH: Ein Mentorat erweitert die Medienkompetenz der Mentoren ungemein. Wir können von den Jungen nicht ständige Weiterentwicklung fordern und uns selbst nicht weiterentwickeln.

LE: Es gibt Phasen im Teenager-Leben, wo man viel zu tun hat und eher andere Leute treffen will. Oder frisch verliebt ist. Da dachte ich mir manchmal: „Ach, jetzt muss ich wieder Sabine treffen.“ Heute ist mir bewusst, dass es auch in diesen Phasen wichtig war, sie zu kennen und sie an meiner Seite zu haben. Die Neutralität des Mentors ist eine prima Sache.

SH: Es gibt Situationen, in denen ein Mensch mit mehr Lebenserfahrung nützlich sein kann.

Mehr Lebenserfahrung haben die Eltern auch.

SH: Ein Mensch von außerhalb blickt anders auf die Dinge. Ich bin als Mentorin nicht verstrickt in die Geschehnisse in der Familie. Es geht auch um Praktisches. Wir waren zum Beispiel neulich zusammen auf einer Berufsmesse in Gießen, der Chancen 2020. Da habe ich Lara ermutigt, sich an einem Stand einer Agentur der Uni Gießen über Mediendesign zu informieren, obwohl sie nicht in Gießen studieren möchte. Mit dem Ergebnis, dass ihr drei Tage Probearbeiten bei dieser Agentur angeboten wurden.

Mit dem Abitur des Mentees ist das Mentorat offiziell zu Ende. Wie gehen Sie damit um?

SH: Ich werde den Kontakt von meiner Seite sicher nicht beenden. Die beiden sind jetzt erwachsen, aber ich habe ja auch sonst viele erwachsene Freunde.

Aus dem Mentorat wird Freundschaft?

SH: Nein. Es ist schon etwas Besonderes, weil der Mentor den Mentee unterstützt und nicht umgekehrt. Mit dem Erwachsenwerden tritt diese Asymmetrie etwas in den Hintergrund.

KF: Mit dem bestandenen Abi ist längst nicht alles geregelt und easy. Für mich war die Zeit zwischen Schule und Studium schwierig. Ich musste mich um die Studienfinanzierung durch das Jugendamt kümmern. In meiner Familie gibt es niemanden, der mir sagen kann, wie der Hase läuft an einer Universität. Bei der Wohnungssuche in Marburg und mit allem Organisatorischen haben mir Sabine und die Projektleiterin der Stiftung sehr geholfen.

Die Wohnungssuche am Studienort war schwierig?

KF: Wenn die anderen Studenten mit ihren Eltern zu Besichtigungsterminen kommen, die Eltern mit dicken Autos vorfahren und selbstverständlich für ihre Kinder bürgen, sieht jemand wie ich ziemlich alt aus. Ich hatte nichts Vergleichbares vorzuweisen. Ich bin dann erstmal mit einem Freund zusammengezogen. Inzwischen habe ich eine Bleibe bei einem netten Vermieter gefunden.

SH: Ich habe Kevin angeboten, für ihn als Bürgen aufzutreten. Er war 18 und ich an die Vorgabe, mich als Mentorin finanziell nicht zu engagieren, nicht mehr gebunden.

Frau Heckmann, nach all den Jahren: Was ist die Essenz eines Mentorats?

SH: Ein Geben und Nehmen. Ein Gewinn für alle Beteiligten. Und es ist schade, dass das Prinzip nicht viel weiter verbreitet ist. Vielen jungen Menschen täte es gut, wenn sie eine erfahrene Person an ihrer Seite hätten, die nicht zur Familie gehört. Eine Person, die sie stärkt und sich für sie einsetzt, auch bei ihrer Familie. Wir leben in einer Selbstoptimierungs-Gesellschaft, die sehr auf die Defizite der Menschen schaut. Auf unsere Stärken zu fokussieren und genau abzuwägen, in welche Bereiche – Stärken oder Defizite – wir unsere Zeit und Energie investieren, ist viel besser. Das, Optimismus und ein gesundes Maß an Eigenverantwortung wollte ich Lara und Kevin mitgeben auf ihrem Weg.